Angesichts rasant steigender Energiepreise, der geplanten drastischen Senkung der CO2-Emissionen und den politischen Vorgaben zur Klimaneutralität stellt sich nicht nur hierzulande drängender denn je die Frage, wie die Energieversorgung in Zukunft sicher und nachhaltig gestaltet werden kann. Vor allem die erneuerbaren Energien aus Windkraft und Sonne rücken hier in den Fokus, um den zunehmenden Energiehunger zu stillen. Dass dabei zahlreiche Unternehmen der deutschen Lackindustrie mit am Tisch sitzen, wenn es darum geht, einen reibungslosen Betrieb der Anlagen zu gewährleisten und für eine optimale Energieausbeute zu sorgen, wissen vielleicht nur wenige. Zudem sind sie in Forschungsprojekte zur Weiterentwicklung innovativer Beschichtungssysteme für Windkraft- und Photovoltaikanlagen involviert, die noch mehr Leistung und Nachhaltigkeit versprechen.
Mittlerweile wird laut Umweltbundesamt bereits die Hälfte des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien gewonnen. Doch der weiter steigende Strombedarf erfordert künftig ein hohes Maß an zusätzlichen Anstrengungen. Auf deutschem Boden sowie in Nord- und Ostsee drehen sich bereits jetzt rund 28.000 Windräder. Ihre Anzahl soll sich nach dem Willen der Bundesregierung bis 2030 verdreifachen. „Dabei ist die Menge der Windkraftanlagen gar nicht so entscheidend“, weiß Andreas Löffler, der für das Business Development im Bereich Composites bei FreiLacke mit Sitz im schwäbischen Bräunlingen verantwortlich ist. „Wichtiger ist ihre Leistungsfähigkeit. Eine moderne Windenergieanlage im Offshore-Bereich kann heute bereits 15 Megawatt Strom produzieren. Sofern die Winde wehen, kann sie eine Kleinstadt versorgen. Und es gibt hier durchaus noch Entwicklungspotenzial, das wir als Lackhersteller mitgestalten können.“ Moderne Windräder können heute mit einem Rotordurchmessen von bis zu 260 Meter gebaut werden, mit bis zu 120 Meter langen Rotorblättern. Im Vergleich dazu waren die ersten Windkraftanlagen, die in den 1990er Jahren in Deutschland aufgestellt wurden, mit einer Gesamthöhe von rund 85 Metern recht klein und produzierten gerade mal 0,5 Megawatt Strom.
Vom Fundament über den Turm und die so genannte Gondel, in der die Turbine sitzt, bis hin zu den Rotorblättern und der Nabe: jedes Bauteil einer Windenergieanlage ist beschichtet. Dabei erfordern die verschiedenen Untergründe aus Beton, Metall oder GFK-Materialien, das ist glasfaserverstärkter Kunststoff, aus denen beispielsweise die Rotorblätter bestehen, jeweils unterschiedliche Beschichtungssysteme. Das könnten in Zukunft eventuell auch Pulverlacksysteme für reine Metalltürme sein oder 2K-Beschichtungen für Gondel und Rotorblätter aus GFK. „In erster Linie schützen unsere Produkte die Anlagen vor Erosion, Korrosion und Witterungseinflüssen und sorgen damit für langfristige Stabilität und Haltbarkeit“, erklärt Löffler. „Sind Reparaturen erforderlich, haben sie aber auch einen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Energieausbeute.“ Denn die gewaltigen Anlagen sind enormen Belastungen durch Erosionseffekte ausgesetzt. Schäden durch Regentropfen, Sand, Eis oder Gischt an der Beschichtung der Rotorblätter sind nicht zu vermeiden. Das liegt unter anderem an der Rotationsgeschwindigkeit von zum Teil über 300 Stundenkilometern, die vor allem an den Flügelspitzen auftreten können. Tropfen treffen dann wie Geschosse mit großer Wucht auf das Rotorblatt, was zu einem Aufrauen der Oberfläche und der Blattkanten bis hin zur Zerstörung des Aufbaus führt. Das erhöht den Windwiderstand, die Leistung der Anlage geht zurück. „Die Herausforderungen bei einer Reparaturbeschichtung der Rotorblätter bestehen nicht nur in der anstrengenden und anspruchsvollen Arbeit in luftiger Höhe“, sagt Löffler. „Sie müssen auch auf den jeweiligen Aufbau der Hersteller abgestimmt sein und mit großer Sorgfalt ausgeführt werden. Denn jede Unebenheit kann zu Verwirbelungen führen, die am Ende zu Lasten des Windertrags gehen. Insbesondere bei Offshore-Anlagen stellen Temperaturen und Luftfeuchtigkeit sowie der Zugang zu den Anlagen hohe Anforderungen an die Verarbeitbarkeit unserer Produkte. Wir müssen die chemische Zusammensetzung so wählen, dass das Zeitfenster, in dem sie verarbeitet werden können, möglichst groß ist.“
Für eine bessere Planung und mehr Effizienz beim Einsatz der Beschichtungsmaterialien kommen heute moderne Inspektionstechnologien zum Einsatz. Mit Hilfe von Drohnen werden vorab die Schäden an der Anlage inspiziert. Damit lässt sich Zeit sparen und die Menge des einzusetzenden Materials exakt planen. „Wir wollen grüne Beschichtungen für grüne Energie“, fügt Löffler an. „Alle unsere Produkte sind deshalb mittlerweile lösemittelfrei oder wasserbasierend. Für die Reparatur haben wir zudem 2-Komponenten-Systeme entwickelt, die bereits im richtigen Mengenverhältnis in einer passenden Verpackungseinheit dem Beschichter mitgegeben werden können“, so Löffler. „Dadurch vereinfachen wir die Arbeiten vor Ort: Es muss nichts mehr abgewogen und kann direkt gemischt werden. So sparen wir eine Menge Zeit, Material und Abfall ein.“ Aktuell ist die Recyclingfähigkeit der Windkraftanlagen und damit auch der Beschichtungssysteme ein großes Thema, das die Lackhersteller beschäftigt. „Die deutsche Lackindustrie hat bei Beschichtungstechnologien für Windenergieanlagen im internationalen Vergleich immer noch die Nase vorn“, fügt Löffler an. Neben FreiLacke forschen und arbeiten einige weitere Unternehmen, wie beispielsweise AkzoNobel, BASF, Bergolin, Jotun, Mankiewicz, Sika oder Teknos in interdisziplinären Teams an neuen Lösungen und Verbesserungen von Beschichtungssystemen für Windkraftanlagen. „Es ist unser Ziel, die Leistungsfähigkeit der Anlagen durch die Optimierung der Beschichtungen und Instandhaltungsprozesse weiter zu erhöhen, um langfristig diese Art der Stromerzeugung noch preisgünstiger und somit wettbewerbsfähiger zu gestalten.“ So kann beispielsweise ein innovatives Korrosionsschutzsystem der Dörken Coatings GmbH kostenintensive Stillstandzeiten für Wartungs- und Reparaturarbeiten verhindern, die durch mechanische oder Umwelteinflüsse an den Maschinenteilen entstehen. Denn viele Bau- und Maschinenteile für Windkraftanlagen sind so groß, dass sie für die Aushärtung einer schützenden Zinklamellenbeschichtung, die üblicherweise bei 240°C auf den Teilen vernetzt, in keinen Trocknungsofen passen. Dafür hat Dörken eine Beschichtung entwickelt, die aufgespritzt wird und bei Raumtemperatur schnell aushärtet. Sie eignet sich nicht nur für den Schutz massiver, sondern auch temperaturempfindlicher Bauteile an Windkraftanlagen.
Neben der Windkraft kommt der Photovoltaik eine große Bedeutung bei der zukünftigen Energieerzeugung zu. Auch hier tüfteln die Unternehmen daran, mittels neuer Beschichtungstechnologien den Energieertrag der „kleinen Kraftwerke“ zu optimieren und neue Einsatzgebiete für diese Technologie zu erobern. So gibt es bereits eine spezielle Anti-Reflex-Beschichtung, die Glasflächen etwa von Gewächshäusern und Solaranlagen nachträglich entspiegelt. Sie steigert den Lichteinfall und führt im Ergebnis zu einer deutlich höheren Energieausbeute. Der Trick dabei: Die Beschichtung basiert auf einer wasserbasierten Lösung mit Nanopartikeln. Dank der Partikel ändert sich die Lichtbrechung der auftreffenden Sonnenstrahlen – die Lichtdurchlässigkeit vergrößert sich. Mehr Lichteinfall führt also zu mehr Energieleistung. Erste Anwendungen in Gewächshäusern bestätigen, dass die Antireflex-Beschichtung in Gewächshäusern die Ernteerträge verbessert. Eine nennenswerte Mehrleistung ist auch bei Solarzellen zu erwarten. Man rechnet damit, dass durch die Technologie die Stromausbeute um bis zu 3 Prozent wachsen kann. Eine nicht unerhebliche Zahl: Denn hochgerechnet auf sämtliche Solaranlagen in Deutschland würde das einen zusätzlichen Ertrag von 1,29 Gigawatt bedeuten. Die Antireflex-Beschichtung lässt sich in einer üblichen Sprühtechnik einfach auftragen und härtet danach unter Umgebungstemperatur aus – eine thermische Fixierung unter hohen Temperaturen ist nicht notwendig.
Für Farben- und Lackhersteller geht neben der Energieeffizienz auch um ästhetische Kriterien, Design und Optik gewinnen in der Solarenergie zunehmend an Bedeutung. Typisch für die Farbgebung von siliziumbasierten Solarmodulen sind bislang Töne, die vom Bläulichen bis zu Schwarz reichen. Mit neuen Technologien kommt jetzt auch bei der Solarenergie reichlich Farbe ins Spiel. Das eröffnet für Architekten, Designer und Stadtplaner vielfältige kreative Gestaltungsmöglichkeiten. So gibt es mittlerweile spezielle Beschichtungen auf Basis der Nanotechnologie, die Sonnenkollektoren und Solarmodule in Weiß, aber auch vielen anderen Farben erstrahlen lassen. Andere Beschichtungen wiederum arbeiten mit photonischen Interferenz-Pigmenten, mit denen sich Solarmodule in vielen verschiedenen Farben gestalten lassen – ohne die Energieleistung nennenswert zu verringern. Die spezielle Farbschicht lässt nur das Licht durch, das die Solarzelle zur Energieerzeugung benötigt. Selektiv reflektiert werden also nur die Wellenlängen, die für die Farbgebung nötig sind. Auch die Wissenschaftler des Fraunhofer Instituts ISE haben ein Verfahren entwickelt, um Solaranlagen mit einer homogenen und leuchtend bunten Oberfläche herzustellen. Als Vorbild dienten die Flügel des Morpho-Schmetterlings. Die Deckgläser der Solarmodule werden nicht mit Farbpigmenten eingefärbt, die Wirkungsweise orientiert sich vielmehr an dem physikalischen Effekt der Schmetterlingsflügel. Mit dieser Technologie lässt sich gleichzeitig eine kräftige Farbe und eine hohe Energieausbeute erzielen. Die Forscher aus Freiburg feilen weiter an dieser innovativen Technologie, die sich derzeit noch im Prototyp-Stadium befindet.
Zweifellos sind für erneuerbare Energiequellen wie Windkraft und Photovoltaik innovative Beschichtungstechnologien essenziell. Wenn auch die Anlagenentwickler und -bauer selbst in Deutschland aus verschiedenen Gründen keine große Rolle mehr spielen, so stehen die Unternehmen der deutschen Lack- und Farbenindustrie nach wie vor an der Spitze der Entwicklung zukunftsweisender und nachhaltiger Beschichtungen. Sie gewährleisten damit nicht nur eine effiziente Energieausbeute und längere Lebenszeiten der Anlagen, sondern eröffnen darüber hinaus neue Einsatzbereiche für die Erzeugung neuer Energie.