Die Marktkirche zum Heiligen Geist in Clausthal-Zellerfeld ist auf ihre Art ein einzigartiges Baudenkmal. Deutschlands größte Holzkirche beeindruckt den Besucher nicht nur mit einem Innenraum von 1.400 Quadratmetern, der 2.000 Besuchern Platz bietet, sondern setzt mit ihrer blauen Holzverschalung einen auffälligen und beeindruckenden Farbakzent in der Bergbaustadt Clausthal.
Mitten in den Wirren und der wirtschaftlichen Not des Dreißigjährigen Krieges setzten die Bewohner Clausthals mit dem Bau ihrer prachtvollen Kirche ein Zeichen. In den Jahren 1636 bis 1642 entstand dieses imposante Bauwerk, das im Laufe der Jahrhunderte erweitert und umgebaut wurde. Von 2001 bis 2013 dauerten die umfangreichen Sanierungsarbeiten an dem 57 Meter langen, vollständig aus Holz errichteten und zu Beginn dieses Jahrtausends zum Teil einsturzgefährdeten Sakralbau.
Zum Abschluss der Sanierungsarbeiten erhielt das bedeutendste Baudenkmal des norddeutschen Barock im Jahr 2013 auch seine ursprüngliche kobaltblaue Farbfassung zurück. Zuvor hatte das Gebäude einen steingrauen Anstrich und gliederte sich damit recht unauffällig in das Stadtbild ein. Für die Bewohner Clausthals war diese für sie neue, farbintensive Beschichtung zu Anfang wohl gewöhnungsbedürftig.
Doch die historischen Bauakten, die im Rahmen eines Forschungsprojekts, das die Sanierungsarbeiten begleitete, untersucht wurden, belegen, welche Farbfassung für die Kirche in den Jahren 1655 bis 1736 tatsächlich maßgeblich war. „Sie war in einem kräftigen Blau mit weiß abgesetzten Fenstern und Profilen gestrichen“, wie Restaurierungsleiter Bernd Gisevius auf den Internetseiten des Fördervereins für den Erhalt der Clausthaler Holzkirche schreibt. „Das Wort ‚Blau‘ erscheint in der Kirchenrechnung von 1695/96 auf Seite 54: ‚behuffs Anstreichung der Marcktkirche‘ wird eine Lieferung von gut 5 Zentnern Kreide, zwei Zentnern Leinöl, 1,1 Zentnern Bleiweiß und einem Zentner ‚blaue Bercke‘ bezahlt. Unter dieser Bezeichnung ist Azurit zu verstehen, ein intensiv blaues Mineral, das auch ‚Bergblau‘ genannt wurde.“ Die Verwendung von Azurit, einem Mineral, das bereits die alten Ägypter vor mehr als 4.500 Jahren in pulverisierter Form als Pigment für Lidschatten und Wandmalereien nutzten, war im wahren Sinne des Wortes naheliegend, denn der Harz war eine der Hauptfundstätten dieses Kupfererzes in Deutschland. Aus Azurit gewonnene Farbpigmente zeichnen sich durch ihre intensive, tiefblaue Farbe aus, waren aber auch sehr teuer. Auf Basis der Kirchenrechnung ließ sich auf verschiedene Anstriche schließen, und daraus konnte der Farbton mit den Original-Pigmenten experimentell „präzise rekonstruiert werden“, wie Gisevius ausführt. Für den Blauton der Fassade wurde in Abstimmung mit der Denkmalpflege jedoch ein etwas hellerer und gedeckterer Farbton gewählt als der ursprüngliche, intensiv leuchtende Azurit-Ton. Die Farbe Blau symbolisiert übrigens in der Kirchengeschichte den Heiligen Geist, dem die evangelische Kirche in Clausthal geweiht ist.
Die Holzfassade wurde mit einer entsprechend pigmentierter Leinölfarbe gestrichen. Sie sorgt mit ihren besonderen Eigenschaften für einen optimalen und langlebigen Holzschutz. Denn Leinöl als Bindemittel ist wasserabweisend, trotzdem dampfdiffusionsoffen, bleibt elastisch, blättert demzufolge nicht ab und kann tief in das Holz eindringen, sich mit ihm verbinden und seine konservierende Wirkung entfalten. Das heißt, selbst wenn Feuchtigkeit in das Holz eindringt, kann sie ebenso schnell wieder ausdunsten. Leinölfarben wurden bereits vor Jahrhunderten für den Holzschutz von Fachwerkbauten, Holzfassaden sowie für Türen und Fenster eingesetzt. In Verbindung mit Eisen(III)-oxid (Eisenmennige) sorgt Leinölfarbe auch für einen effektiven Korrosionsschutz. Leinölfarben erfreuen sich heute besonders bei der Restaurierung von Denkmälern und auch von Oldtimern wieder zunehmender Beliebtheit. Leinöl wird aus Leinsamen, den Früchten des Flachses gewonnen. Als Bindemittel für Farben findet es bereits seit dem 12. Jahrhundert Verwendung.