Eigentlich ist die niedersächsische Stadt Celle für ihre über 400 Fachwerkbauten berühmt, doch nicht weit vom historischen Stadtkern mit seiner pittoresken Altstadt findet man in einer Seitenstraße die Siedlung „Italienischer Garten“ des Architekten Otto Haesler, die in ihrer modernen Architektur und Farbigkeit einen spannenden Gegenpol zum historischen Fachwerk bildet.
In der gleichnamigen Straße „Italienischer Garten“ stehen sich acht aus verschiedenfarbigen Kuben zusammengesetzte Häuser mit Flachdächern gegenüber. Dabei werden die vier rot abgesetzten, mittleren Häuser mit Vierzimmer-Wohnungen von jeweils zwei blau abgesetzten Häusern mit Fünfzimmer-Wohnungen am Anfang und am Ende der kleinen Straße eingerahmt. Die einzelnen Häuser bestehen aus einem in Grau gefassten, höheren Mittelteil mit dem Eingangsbereich und roten Fensterrahmen, in die an beiden Seiten die roten oder blauen Seitenbereiche mit weißen Fensterrahmen sozusagen zum Teil wie in diesen Mittelteil hineingeschoben wirken. Insgesamt macht diese Siedlung einen strengen und klar gegliederten Eindruck, der durch die Farbgebung noch betont wird. Dennoch verströmen diese Gebäude eine freundliche und aufgelockerte Atmosphäre. Dazu trägt auch das Grün der großzügig bemessenen Gartenflächen vor und hinter den Häusern bei.
Mit diesem Siedlungsbau aus dem Jahr 1924 betonte der von 1906 bis 1934 in Celle lebende und arbeitende Architekt Otto Haesler nachdrücklich die Bedeutung von Farbe in der Architektur. Gleichzeitig verschaffte ihm dieser Bau internationale Anerkennung und machte Haesler zu einem führenden Repräsentanten des so genannten „Neuen Bauens“. Dieser Begriff, der sich aus dem Titel eines 1919 erschienenen Fachbuchs des Architekten Erwin Anton Gutkind ableitet, bezeichnet eine Architekturbewegung im Bereich des Städte- und vor allem des Siedlungsbaus, die sich zeitgleich mit den Bewegungen des Bauhaus und der neuen Sachlichkeit entwickelt. Das Neue Bauen war in der Zeit der 1910er Jahre bis in die späte Weimarer Republik hinein maßgeblich für den Siedlungsbau. Als Gegenentwurf zu den engen Mietskasernen in den Städten wurden lebensfreundliche, luftige und trotzdem günstige Siedlungen geplant und gebaut. Darin konnten sich die Bewohner bei aller Sachlichkeit und Schlichtheit der Architektur, bei der auch neue Werkstoffe und Materialien eingesetzt wurden, wohlfühlen. Mit der Farbigkeit seiner Siedlung Italienischer Garten, die die erste farbige Siedlung nach den Maßgaben des Neuen Bauens in der Weimarer Republik war, entsprach Haesler auch dem „Aufruf zum farbigen Bauen“ des Architekten und damaligen Stadtbaurates in Magdeburg, Bruno Taut, der ihm auch den Maler Karl Völker vermittelte, der für die farbige Gestaltung der Fassaden verantwortlich war.
Im Rahmen der umfassenden Sanierung der Gebäude im Jahr 2006 erhielten die Fassaden neben einem modernen Wärmedämmverbundsystem auch ihre ursprüngliche Farbigkeit wieder. Die Häuser waren in den Jahren zuvor mit Anstrichen in zurückhaltenden, pastelligen Farbtönen gestrichen worden, womit den Häusern viel von ihrer originalen Charakteristik genommen wurde. Ebenso wurden auch die Holzfenster wieder in die ursprüngliche Farbigkeit versetzt. In Celle, wo man Haeslers Wirken noch in einer Reihe von Bauwerken nachvollziehen kann, gibt es auch ein Dokumentationszentrum, das an den Architekten erinnert.