• Die Lackierung gehört bei der Geige zum guten Ton

    Jahrhundertelang vermuteten Laien wie Profis, Stradivari habe für seine unvergleichlichen Geigen eine außergewöhnliche Lackrezeptur verwendet. Mittlerweile konnte die Wissenschaft dieses Rätsel lösen: Der Großmeister des Geigenbaus hatte keine Wundermittel zur Hand. Er nutzte für die Herstellung seiner Lacke ausschließlich Zutaten, die zu seiner Zeit verbreitet und leicht zugänglich waren. Seit jeher ranken sich um die Lackierung von Violinen Mythen und Legenden. Noch heute hat jeder Geigenbauer sein eigenes, gut gehütetes Lackrezept, das er mit Sorgfalt und Raffinesse zusammenstellt. Denn immer noch werden Geigen von Hand lackiert, selbst in den größeren Manufakturen.

    Der Lack macht die Musik

    Zunächst dient der Lack dazu, das Holz des Instruments vor Feuchtigkeit und Schmutz zu schützen. Darüber hinaus hat er eine wichtige ästhetische Funktion. Denn die Lackierung veredelt die Geige optisch: Sie sorgt für die besondere Farbgebung und verleiht ihr ein einzigartiges Aussehen.
    Nicht zuletzt hat der Lack auch Einfluss auf den Klang des Instruments: Er verfeinert seine akustischen Eigenschaften, bringt sie zur vollen Entfaltung. Das heißt: Er darf auf keinen Fall dämpfend wirken. Damit dies gelingt, ist die Qualität des Geigenlacks ganz entscheidend. Ein schlechter Lack reduziert die Schallgeschwindigkeit. Das wiederum mindert Resonanz und Lautstärke – die Töne können sich nicht optimal ausbreiten. Musikalisch bedeutsam ist auch die Art, wie der Lack aufgetragen wird. Es gibt Lacke, die nur einmal dünn appliziert werden. Andere Lackierungen erfordern im Gegensatz dazu mehrere Schichten, um den gewünschten akustischen Effekt zu erzielen. Dennoch gilt: Selbst der beste Geigenlack kann Mängel in der handwerklichen Fertigung oder beim Holz nicht kompensieren.

    Öl oder Spiritus bilden die Basis

    Eine Lackkomposition im Geigenbau gleicht einem aufwändigen Kochrezept. Die verschiedenen Zutaten werden sorgsam zusammengestellt - und häufig über viele Tage hinweg verkocht.
    Die Basis des Lacks ist zumeist Öl oder Spiritus. Darin werden wertvolle Naturharze gelöst. Instrumentenbauer verwenden beispielsweise Benzoe - das Harz der asiatischen Benzoebäume. Aber auch Harze wie Mastix, Myrrhe und Bernstein sind beliebte Ingredienzien. Tierische Harzsubstanzen wie etwa Stock- oder Schellack – die Ausscheidungen bestimmter Lausarten - finden ebenfalls Verwendung. Hinzu kommen pflanzliche Farbextrakte. Zusätzlich können weitere Stoffe beigefügt werden, etwa Balsame oder ätherische Öle.
    Spirituslack trocknet rasch, ist elastisch und ergibt einen schönen satten Glanz. Öllack lässt sich sehr leicht auf dem Instrument verstreichen. Bei Wärme und Beanspruchung ist er weniger empfindlich als Spirituslack. Violinen werden zum Teil auch mit schnell trocknendem Nitrolack behandelt. Das ist gerade bei kostengünstigen Instrumenten der Fall. Nitrolacke enthalten neben Zellulosenitrat häufig weitere synthetische Harze und Farbstoffe. Experten weisen allerdings darauf hin, dass Nitrolacke den Klang der Geige dämpfen können. Zudem kann die Lackschicht leichter abblättern als bei Spiritus- und Öllacken.

    Auch der Farbton ist entscheidend

    Geigen sind nicht nur ein akustisches, sondern auch ein optisches Erlebnis. Dafür sorgen die  exzellent ausgearbeiteten Farbnuancen. Ob dezentes Hellbraun, leuchtendes Gold, glanzvolle Rot- und Orange-Töne oder klassisches Rußschwarz – die Bandbreite an Farben ist beachtlich. Manche Musiker geben sogar blankpolierten Violinen in knalligem Grün oder Blau den Vorzug.
    Neben den Naturharzen spielen pflanzliche Extrakte für die Farbgebung eine entscheidende Rolle. Ähnlich wie bei Künstlerfarben werden die Pflanzen ausgekocht, um die Farbstoffe zu gewinnen. Die Liste der farbgebenden Lackzutaten liest sich wie ein botanisches Nachschlagewerk: Von Aloe und Curcuma über Drachenblut und Färberdistel bis zu Sandelholz und Zwiebelschalen reichen die Zusätze.

    Schicht für Schicht zum perfekten Ergebnis

    Genau wie für die Herstellung des Lacks selbst gibt es auch für seine Applikation kein Patentrezept. Grundsätzlich geht man von drei Schichten aus. Dabei wird der Lack sorgfältig auf den äußeren Instrumententeilen mit verschiedenen Pinseln aufgetragen.
    Zunächst erfolgt die Grundierung – zum Teil auch mehrfach. Der Grundlack dringt tief in die Poren des Holzes ein und versiegelt das Material. Danach schließt sich die farbgebende Lackierung an, die je nach gewünschtem Farbton und Materialbeschaffenheit mehrmals aufgetragen wird. Zum Schluss veredelt der Geigenbauer das Instrument mit einem Überzug. Normalerweise erhalten die einzelnen Lackschichten einen Schliff. Ganz zum Ende – wenn der Lack vollständig aufgetragen und getrocknet ist – wird das Instrument schließlich poliert.

    Alte oder neue Geigen – was bevorzugen Violinisten?

    Ein Experiment der renommierten Sorbonne-Universität in Paris, erst in diesem Jahr durchgeführt, entzaubert den Mythos der legendären Geigen des 17. Und 18. Jahrhunderts. Zehn preisgekrönte Violinisten sollten sich entscheiden, welche von zwölf Geigen sie auf einer Tournee spielen würden. Sechs Instrumente -  darunter fünf von Stradivari – waren alt, die anderen sechs neueren Datums. In einem Blindtest stuften die Virtuosen die musikalische Qualität der einzelnen Instrumente ein. Das verblüffende Ergebnis: Die Geiger erkannten die Stradivaris nicht am Klang. Sechs Musiker präferierten darüber hinaus eindeutig eine neue Violine. Es sieht also ganz danach aus, dass neue Materialien und frische Lackierungen bessere Klangerlebnisse und mehr Freude am Geigenspiel bringen.

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