E-Mobilität ist der Megatrend, der nun mit höchster Geschwindigkeit auch in Deutschland Einzug hält. Dieser sich bereits seit einigen Jahren abzeichnende Wandel einer kompletten Branche hat auch die Hersteller von Autoserien- und -reparaturlacken elektrisiert. Die Auswirkungen des Schwenks hin zur E-Mobilität sind für diesen Industriezweig ebenso gravierend wie vielschichtig.
Um den Vorsprung amerikanischer und chinesischer Unternehmen in dieser Branche aufzuholen, befindet sich die zunächst zurückhaltende deutsche Automobilindustrie aktuell in ihrer wohl größten Umbruchphase. Denn der politische Wille zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit sowie steigende Kraftstoffpreise sorgen für freie Fahrt bei der Fortbewegung mit Hilfe elektrischer Antriebe. Diese Entwicklung stellt viele Prozesse in der Automobilproduktion auf den Prüfstand und führt zu neuen Lösungen. Der Innovationsdruck ist hoch, genauso wie die Zahl neuer und agiler Wettbewerber. Als Folge investieren die hiesigen Fahrzeughersteller jetzt gewaltige Summen in die Batterieproduktion und neue Fertigungsstraßen.
Dabei geht es um weit mehr als die Anpassung bestehender Produkte. Der gesamte Prozess von der Herstellung bis zur Reparatur erlebt aktuell eine technologische Revolution, bei der fast nichts so bleibt, wie es war. Spielten Beschichtungen bei den Antriebssystemen für Verbrenner keine große Rolle, so sind sie für Elektrofahrzeuge essenziell. Kontakte, Sensoren, Batterien – es sind die Beschichtungen, die die zahlreichen Funktionen in Elektrofahrzeugen erst ermöglichen. Denn ohne geht bzw. fährt nichts. Hier hat die deutsche Lackindustrie wohl den größten Innovationssprung hingelegt, um beim Megatrend E-Mobilität mehr als nur den Kontakt zu halten.
Die Batterie ist fraglos das Herzstück eines Elektroautos. Sie ist allerdings nicht nur die zentrale, sondern auch die teuerste Komponente. „Gefragt sind in der Lacktechnologie heute vor allem ausgereifte Lösungen für die Serienproduktion von Batteriezellen, -modulen und -packs“, weiß Dr. Markus Vogt, General Manager Mobility des Lackherstellers PPG. „Dabei kommt es darauf an, mit den Beschichtungen alle Anforderungen an die Leistungsfähigkeit, Langlebigkeit und Sicherheit der Batterien sowie die Wirtschaftlichkeit im Produktionsprozess umzusetzen“. Bei BMW werden die Zellen übrigens in der Farbe Blau lackiert. Zahlreiche Bauteile der Batterie werden heute beschichtet. So unterschiedlich wie die einzelnen Komponenten sind auch die Funktionen der modernen Lacksysteme: Die Batteriezellen brauchen beispielsweise eine isolierende Schicht, um Kurzschlüsse zu verhindern, aber auch Schutz vor eindringendem Wasser. Die Kühlplatte aus Metall wiederum muss mit einer speziellen Feuerbeschichtung behandelt werden. Für den Boden der Batterie ist ein leitender Kleber erforderlich.
„Neuartige Lacksysteme in der E-Mobilität kann man als echte Multitalente bezeichnen“; so Vogt weiter. „Beschichtungen müssen vieles gleichzeitig leisten. Zum Beispiel Korrosionsschutz und isolierende Eigenschaften in einem. Oder Korrosionsschutz und Brandschutz. Das stellt Forschung und Materialentwicklung vor ganz neue Herausforderungen.“
Neben dem Erhalt einer langlebigen Funktionstüchtigkeit der Batterien beschäftigt die Entwickler vor allem der Brandschutz von Lithium-Ionen-Batterien, die derzeit die meisten Elektro-
Autos antreiben. Denn bei einem Kurzschluss kann es schnell zu einem unkontrollierten Anstieg der Temperatur kommen, dem sogenannten „Thermal Runaway“, was zu Bränden und Explosionen führen kann. Für die Lösung dieses Sicherheitsproblems gibt es verschiedene Ansätze. Bis vor wenigen Jahren dominierten bei Brandschutzmaterialien vor allem keramische Faserverbunddecken und glimmerkaschierte Verbundplatten. Inzwischen bieten auch innovative Beschichtungssysteme einen Hitzeschutzschild für die Batterieteile und helfen so, die Feuergefahr einzudämmen.
„Moderne Brandschutzbeschichtungen für die E-Mobilität haben die Fähigkeit, sich auszudehnen – der Fachbegriff dafür lautet Intumeszenz. Wird eine gewisse Temperatur überschritten, erweicht die Beschichtung und eine chemische Reaktion setzt ein, die zu einer Gasentwicklung führt. Dieses Gas verbindet sich mit der aufgeweichten Beschichtung und bildet einen voluminösen, isolierenden Schaum.“
Es gibt aber noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: Im Gegensatz zu vielen herkömmlichen Brandschutzmaterialien können sie besonders gleichmäßig und präzise im Spritzverfahren bei der Montage von Batteriepacks aufgetragen werden – in der Massenproduktion auch im voll automatisierten Verfahren. Außerdem sind sie besonders leicht, wodurch sie die Batterieleistung nicht beeinträchtigen.
Ob Zelldosen, Modulgehäuse, Kühlsysteme, Stromschienen oder Packschalen: Für viele Komponenten der Batterie von E-Fahrzeugen sind spezielle Isolierungen notwendig. Sie unterstützen eine Verbesserung der Energieleistung und erhöhen gleichzeitig Sicherheit und Lebensdauer der Batterie. Moderne Beschichtungssysteme verfügen nicht nur über hervorragende isolierende Eigenschaften, sondern können auch besonders präzise aufgetragen werden, anders als bei Folien- oder Klebebandlösungen, bei denen Lücken und Blasen auftreten können. Zudem wurde kürzlich festgestellt, dass Klebebänder für eine allmähliche Entladung der Batterie verantwortlich sein können. Isolierende Lacksysteme für Metallkomponenten der Batterie, etwa Kühlplatten und Kühlrohre, sind meist robuste Pulverlackierungen, die durch ihre besonders hohe Materialausbeute von rund 95 Prozent äußerst effizient und nachhaltig sind. Temperaturempfindliche Bauteile wie prismatische Zelldosen und Module hingegen müssen in einem Niedertemperaturverfahren behandelt werden, bei denen spritzbare, UV-härtende Beschichtungen zum Einsatz kommen.
Gerade in Elektrofahrzeugen besteht ein erhöhter Bedarf an einer wirksamen elektromagnetischen Abschirmung. Elektromagnetische Störungen können die Funktion sensibler Technik massiv beeinträchtigen und im schlimmsten Fall die Sicherheit der Insassen gefährden. Auch hier hat die Lackindustrie in jüngster Vergangenheit zahlreiche innovative Lösungen auf den Weg gebracht. Moderne Beschichtungssysteme dienen heute dazu, zum Beispiel elektronische Nabengehäuse, Telemetriesysteme, Sensoren für Fahrassistenzsysteme oder autonome Fahrfunktionen (ADAS) sowie Batteriegehäuse und -ladegeräte vor elektromagnetischen Störungen zu schützen. Sie können auf vielen Trägermaterialien eingesetzt werden und eignen sich auch für empfindliche Kunststoffe. Dafür eignen sich günstige Produkte auf Basis von Nickel oder höherwertige Lacksysteme mit noch besseren Abschirmeffekten, die auf Silber beschichtetem Kupfer basieren.
Nicht nur die Automobilproduktion musste sich für die E-Mobilität beinahe neu erfinden. Auch Karosserie- und Lackierbetriebe mussten sich massiv umstellen. Elektrofahrzeuge sind Hochvolt-Fahrzeuge, die Lackierer und Mechaniker vor neue Herausforderungen stellen. Bei Arbeiten an Hybriden, E-Autos oder Fahrzeugen mit Brennstoffzellen bestehen andere Risiken als bei der Reparatur von Benzinern oder Dieselfahrzeugen. Deshalb ist für die Reparaturlackierung zusätzlich für die Arbeit an Hochvolt-Fahrzeugen zertifiziertes Fachpersonal erforderlich. Um nur ein Beispiel für die Gefahrenpotenziale zu nennen: Bohrt ein Mechaniker unabsichtlich ein orangefarbenes Kabel an – eine Farbe, mit der alle starkstromleitenden Komponenten im E-Auto gekennzeichnet sind – kann es zu einem Lichtbogen kommen, bei dem sich Temperaturen von über 1000 Grad Celsius entwickeln können. Der heikelste Vorgang bei der Reparaturlackierung eines Stromers ist die Trocknung des Lacks, sofern das komplette Fahrzeug in der Trockenkabine steht. Laut Vorgaben der meisten Autohersteller sollte die Temperatur in der Kabine 60 Grad Celsius nicht überschreiten, um Schäden an der Batterie zu vermeiden. Die Hersteller von Autoreparaturlacken haben das verstanden und Lacke entwickelt, die bereits bei niedrigeren Temperaturen schneller trocknen. Ein Schub auch hier in Richtung Nachhaltigkeit: mehr Effizienz bei weniger Energieverbrauch.
Auch bei der Karosserie verändern sich die Gegebenheiten. Leichte Konstruktionswerkstoffe wie Kohleverbundfaserstoffe oder Aluminium- und Magnesiumlegierungen kommen zunehmend zum Einsatz. So lässt sich Gewicht der Fahrzeuge verringern und die Reichweite erhöhen. Grundsätzlich zählt auch bei der Elektromobilität eine haltbare und ansprechende Lackierung, die die Karosserie zuverlässig vor Umwelteinflüssen und mechanischen Belastungen schützt. Die Kathodische Tauchlackierung (KTL) bietet nach wie vor einen guten Korrosionsschutz, ist chemikalienbeständig und elektrisch isolierend. In Bezug auf Elektromobilität hat sie zudem den Vorteil, dass sich bei dieser ersten Schutzlackierung bereits mit Hilfe von Lasern beschichtungsfreie, leitfähige Bereiche für Kontaktpunkte herstellen lassen.
Mit der zunehmenden Präsenz von Elektrofahrzeugen auf unseren Straßen wird auch die Farbigkeit und Gestaltung der Karosserie wieder zu einem wichtigen Differenzierungsmerkmal, da sind sich Experten sicher. Die Ästhetik der Fahrzeuge verändert sich. Denn Besitzer von Elektrofahrzeugen können nicht mehr wie bei einem Verbrenner mit PS-Zahlen oder ausgefeilten Tuningelementen protzen, um sich von der Masse abzuheben. Schon jetzt liegen Zweitonlackierungen im Trend. Aktuelle Prototypen, beispielsweise von BMW oder VW, geben die Richtung vor. So besteht die Karosserie des VW ID.7 aus 40 leitenden oder isolierenden Schichten, die durch Stromimpulse ihre Farbe wechseln können. BMW nutzt für den i Vision Dee die E-Ink-Technologie, eine elektronische Folie, mit der sich bis zu 32 Farben darstellen lassen. Diese Entwicklungen tragen sogar dazu bei, den Fahrspaß auch wirtschaftlicher zu gestalten. Da eine weiße Außenhaut die Sonnenstrahlen besser reflektiert als eine dunkle Farbe, heizt sich der Innenraum weniger auf und der Energieverbrauch der Klimaanlage sinkt, was der Batterie zu mehr Reichweite verhilft.
Eines ist sicher: Das Thema Elektromobilität wird die Lackindustrie weiter intensiv beschäftigen. Denn die Bandbreite an speziellen Anforderungen in diesem Segment wächst und wächst. Und die Entwicklungen
in Bezug auf neue Batteriesysteme und damit einer Steigerung der Reichweite von Elektrofahrzeugen sind noch längst nicht ausgereizt.