Sie malträtieren tadellose Lackschichten mit Messern, ritzen mutwillig Kratzer bis aufs Blech, schleudern Steine mit Wurfgeschossen gegen die Karosserie und lassen den beschädigten Lackmantel zu guter letzt einfach im Regen stehen.
Die Rede ist allerdings nicht von Vandalen, die sich einen Spaß daraus machen, Autos zu beschädigen, sondern von Lackentwicklern. Sie traktieren Lack von Berufs wegen. Bevor sie grünes Licht für einen Serienlack geben, prüfen sie die von Farbdesignern entwickelten Lacke bis ins kleinste Detail. Kratzfest und widerstandsfähig müssen sie vor allem sein, um den hohen Anforderungen der Automobilindustrie zu entsprechen.
Alle großen Lackhersteller haben ihre eigenen Labore, in denen Wissenschaftler und Ingenieure die neusten Ideen von Farbdesignern unter die Lupe nehmen. Extreme Tiefsttemperaturen oder heißer Wüstenwind über 40 Grad Celsius prüfen den Lack wie er sich bei starken Temperaturschwankungen und UV-Strahlen verhält. Unterschiedliche Witterungsverhältnisse werden in Farblaboratorien ebenso simuliert, wie die Auswirkung von aufgeschleudertem Straßensplitt oder Steinschlag. Natürlich werden nicht komplett lackierte Fahrzeuge diesen Torturen ausgesetzt, sondern nur entsprechend lackierte Metallplatten verwendet.
Mit Hochdruck fliegen Metallschrot und Steine gegen die Lackplatten. Metallschrot ersetzt dabei Straßensplitt. Der Beschuss mit Metallteilchen wird von der deutschen Autoindustrie sogar ausdrücklich vorgeschrieben. Denn wenn ein Lack diese Marter überstanden hat, kann bei richtigem Splitt kaum noch etwas passieren.
Die Waschstraße gehört ebenfalls zur Testreihe. Wenn die Bürsten anfangen, auf den vorbereiteten Lackplatten zu rotieren, wird feinster Quarzsand als „Schmutz“ dem Wasser beigemischt. Hier wird die Kratzfestigkeit des Lackes untersucht. Mit Spezialmessern werden manuell oder maschinell tiefe Kerben geritzt, um sie anschließend der erbarmungslosen Witterung, beispielsweise im Sauerland, preiszugeben: Rost ist hier unbedingt gewollt. Er zeigt an, in wieweit die Lackschichten das Metall vor Korrosion schützen - oder eben nicht.
Auch die Haftfähigkeit zwischen den einzelnen Lackschichten wird genau überprüft. Die eingeschnittene Stelle wird mit Klebeband bedeckt und dann mit einem Ruck wieder entfernt. Es dürfen keine Lackreste am Klebeband hängen bleiben. Alle Ergebnisse werden genau festgehalten und hinterher analysiert. Erst wenn alle Tests positiv bestanden sind, kann ein Lack in Serie gehen. Drei bis vier Jahre dauern durchschnittlich die Tests, bis ein Lack in Serie gehen kann. Heute arbeiten die Farbentwickler bereits an Serienlacken, die erst in einigen Jahren auf unseren Straßen zu sehen sein werden.