Pigmente sind die Seele der Farben. Wir begegnen ihnen überall - und das in allen Lebensbereichen. Sie sorgen für den überbordenden Farbenreichtum in der Tier- und Pflanzenwelt. Selbst in unserem Körper sind sie entscheidend für unsere Haarfarbe und die Tönung unserer Haut. Und nicht zuletzt spielen sie eine ebenso wichtige Rolle für die Beschichtungen all der unbelebten Gegenstände, die uns tagtäglich umgeben. Kurzum: Pigmente machen unsere Welt letztlich zu dem, was sie ist: vielfältig, bunt und lebenswert.
Die synthetisch hergestellten Pigmente, die heute in der Lack- und Druckfarbenindustrie eingesetzt werden, sind weitaus mehr als nur ein farbgebendes Pulver. Sie sind mitunter komplexe Gebilde, die für die jeweiligen Anforderungen der unterschiedlichen Beschichtungssysteme maßgeschneiderte Eigenschaften mitbringen müssen. Doch auch im Bereich der Entwicklung und Verarbeitung von Pigmenten ist angesichts der bereits spürbaren Folgen des Klimawandels einiges in Bewegung. Wie Pigmente für mehr Nachhaltigkeit sorgen und dabei zusätzliche Funktionen übernehmen können, ist deshalb ein großes Thema, das die Entwickler in den Labors der Pigmenthersteller ebenso beschäftigt wie die Verarbeiter von Pigmenten in der Lack- und Druckfarbenindustrie.
Das Verarbeiten der Pigmente stellt bei Herstellung von Farben und Lacken die größte Herausforderung dar. Erst das Zusammenspiel mit Bindemitteln, Additiven und Füllstoffen macht eine Beschichtung daraus, die dann passgenau für den jeweiligen Einsatzzweck konzipiert ist. Dabei gibt es einige Kriterien dafür, was Pigmente grundsätzlich leisten müssen. Neben dem Schutz von Untergrund und Beschichtung müssen sie die Anforderungen erfüllen, die an das jeweilige Beschichtungssystem gestellt werden, wie Temperaturbeständigkeit sowie Wetter- und Lichtechtheit. „Nicht zuletzt müssen sie natürlich den Vorgaben der Kunden in Bezug auf Farbton und Brillanz erfüllen“, erklärt Elisabeth Dreher, Expertin für Farbmetrik bei der Weilburger Coatings GmbH. „Hier arbeiten wir immer in einem Spannungsfeld zwischen Funktionalität und optischer Attraktivität der Beschichtung. Mit der Auswahl der Pigmente können wir immer nur eine Eigenschaft stärker gewichten. Das heißt, optische Brillanz geht immer auf Kosten der Funktionalität und umgekehrt. Dabei wäre es aus meiner Sicht aus Gründen der Nachhaltigkeit wünschenswert, die Funktionalität stärker in den Vordergrund zu stellen.“
Die Kriterien bei der Auswahl der Pigmente haben sich nicht zuletzt auch aufgrund der Klimagesetzgebung und dem damit verbundenen Druck zu mehr Energieeffizienz in den letzten Jahren verändert. „Infrarot reflektierende Pigmente sind nicht erst seit diesem heißen Sommer gefragt“, weiß Dreher. Und das aus mehreren guten Gründen: Sie verlängern die Lebensdauer des Beschichtungsstoffs, indem sie die Bindemittel vor UV-Strahlung und Wärme schützen und damit gleichzeitig den beschichteten Träger vor Erwärmung. „Wie wir aus unserer Erfahrung aus der Entwicklung von Beschichtungssystemen für Schienenfahrzeuge wissen, kann mit infrarot reflektierenden Außenbeschichtungen das Aufheizen durch Sonnenlicht in Innenräumen von Zügen deutlich gesenkt werden“, so Dreher weiter. Zwar reduzieren diese hoch reflektierenden Pigmente den Energieaufwand für die Kühlung in Zügen und in Gebäuden, aber sie sind auch teurer. Das wirkt sich auf den Preis der Beschichtungen aus, was manche Kunden noch zögern lässt. Eine längere Haltbarkeit der Beschichtung und Einsparungen bei den Energiekosten für Kühlen und Heizen könnten diese Haltung aber in Zukunft ändern.
Für die Auswahl von Pigmenten spielen aber nicht nur Farbbrillanz und Funktionalität eine Rolle. Es müssen heute eine ganze Reihe weiterer Kriterien bei der Auswahl von Pigmenten beachtet werden. „Dabei geht es in verschiedener Hinsicht ebenfalls um Nachhaltigkeitsaspekte“, erläutert Dreher. „Natürlich müssen die Pigmente und ihre Inhaltsstoffe schadstofffrei sein und dürfen weder Gesundheit noch Umwelt schädigen. Darüber hinaus müssen wir jedoch die gesamte Lieferkette im Blick haben. Wenn wir beispielsweise Glimmer beziehen, ein natürliches anorganisches Pigment, das vor allem in Indien und Brasilien abgebaut wird, müssen wir sicher sein können, dass vor Ort die Menschen- und Arbeitsrechte eingehalten werden. Zudem dürfen Pigmente laut EU-Verordnung keine Mineralien enthalten, die aus Konfliktregionen stammen.“
Die Hersteller von Lack- und Druckfarben arbeiten außerdem auch kontinuierlich daran, ihre eigenen Verarbeitungsprozesse schneller, effizienter, energieärmer und damit nachhaltiger zu gestalten. Auch hier rücken Pigmente in den Fokus, denn das Einarbeiten der Pigmente in ein Beschichtungssystem ist ein aufwendiger und mithin energieintensiver Schritt bei der Lackherstellung. „Je besser Pigmente zu verarbeiten sind, das heißt, wenn sie gut benetzbar und leicht dispergierbar sind, desto weniger Energie verbrauchen wir“, sagt Dreher. „Es ist deshalb sinnvoller Pigmente auszuwählen, die mit dem Dissolver bearbeitet werden können, statt in der energieintensiven Perlmühle.“ Pigmente bieten somit gleich in mehrfacher Hinsicht Ansatzpunkte für die Verringerung von CO2-Emissionen und bergen gleichzeitig Potenziale für Beschichtungssysteme, die beispielsweise das Heat-Management in Gebäuden und Fahrzeugen erleichtern können.
Energie für das Kühlen oder Heizen von Gebäuden kann beispielsweise durch Wandfarben mit Pigmenten auf Aluminiumbasis eingespart werden. Wie ist so ein Pigment aufgebaut und wie kommt es zu diesem Effekt? Aluminium zeichnet sich durch einen sehr geringen Emissionswert und zugleich durch eine sehr gute Reflektion im Wellenlängenbereich der Wärmeabstrahlung aus – das sogenannte Thermoskannen-Prinzip: Die bei Kälte eingesetzte Wärmeenergie wird reflektiert und bleibt im Raum. Ist es heiß, bewirkt die Farbe hingegen, dass weniger Wärme über die Außenmauern in das Gebäude eindringen kann. Bei der Pigmentherstellung wird das Aluminium als Basismaterial zu einem Aluminiumflake vermahlen und im Anschluss in einem nasschemischen Beschichtungsprozess weiterverarbeitet. Dieser Vorgang ist essentiell: So erhält das Pigment seinen Farbton und seine chemische Beständigkeit – ohne diese Beschichtung würde bei wasserbasierten Lacksystemen unmittelbar eine chemische Reaktion des Aluminiums einsetzen.
„Farbe mit reflektierenden Aluminiumpigmenten kann die von Heizelementen, aber auch von Menschen abgestrahlte Wärmenergie bis zu 50 Prozent in den Raum zurückgeben “, erläutert Johannes Zitzmann, Head of Industrial Coatings, Marketing & Technical Service der Eckart GmbH, einem Pigmenthersteller mit Sitz im bayerischen Hartenstein. Eine unabhängige Studie der Bauhausuniversität Weimar hat bestätigt, dass dadurch etwa bei Altbausanierungen bis zu 22 Prozent Energie eingespart werden kann. Neben der Wärmeeinsparung hat die Wandfarbe mit Aluminiumpigmenten einen weiteren positiven Effekt. „Sie steigert die thermische Behaglichkeit, da der Zuglufteffekt von kalten Außenwänden gerade in Altbauten merklich verringert wird und dadurch das Wohlbefinden steigt“, so Johannes Zitzmann, “doch auch in Neubauten bis hin zu Niedrigenergiehäusern lässt sich die Energieeffizienz damit merklich erhöhen.“
Ein weiteres großes Thema sind Beschichtungen mit elektrisch leitenden Pigmenten, die vor allem in der Automobilindustrie und Mikrotechnologie gefragt sind. Mit ihnen können Fertigungsteile, etwa aus Kunststoff, nachträglich leitfähig beschichtet werden. Immer häufiger werden diese Pigmente auch als Füllstoff in Systemen zur elektromagnetischen Abschirmung verwendet, die besonders bei neuen Technologien, etwa bei autonomen Fahrtechniken oder in der Telekommunikation, gewährleistet sein muss. Metalle wie Aluminium, Kupfer oder Silber sind die Basis dieser Pigmente. Silber leitet am besten, ist aber auch das kostspieligste Metall. Mittlerweile haben Pigmenthersteller auch hier eine wirtschaftlichere Lösung gefunden: Der Pigmentkern besteht dabei aus einem metallischen oder nichtmetallischen Träger, der nur mit Silber verkapselt wird. Somit entstehen leitfähige Pigmente, die nicht aus reinem Silber und dennoch hoch effizient sind.
Schwarze Kunststoffverpackungen sind schwer zu recyceln. Das liegt an den Ruß-Pigmenten, die bei ihrer Färbung eingesetzt werden. Wegen ihrer stark absorbierenden Eigenschaften können selbst kleinste Spuren dieser Pigmente die Abfalltrennung in automatischen Sortieranlagen mit Nahinfrarot-Erkennung behindern. Mit neuen Schwarzpigmenten auf Basis eines Eisen-Mangan-Mischoxids lässt sich diese Hürde aus dem Weg räumen. Sie weisen gegenüber Ruß einen bis zu 20 Prozent höheren Reflexionsgrad bei der Nahinfrarot-Erkennung aus. Das trägt wesentlich dazu bei, die Wiederverwertung von schwarzen Plastikverpackungen zu erhöhen. Auch die Lebensmittelindustrie profitiert von Manganferrit-Pigmenten zum Einfärben von Kunststoff. Denn sie werden mit einem sehr geringen magnetischen Wert synthetisiert. Das hat einen entscheidenden Vorteil: Bei Qualitätskontrollen werden u. a. Metalldetektoren eingesetzt – sie können jedoch nicht unterscheiden, ob es sich um ein Pigment in der Verpackung oder ein Metallstück in einem essbaren Lebensmittel handelt. Schwarzpigmente mit niedriger magnetischer Eigenschaft bieten Herstellern deshalb mehr Sicherheit bei der Produktion, weil weniger Fehlalarme ausgelöst werden und es so weniger Unterbrechungen gibt.
Innovative Pigmente mit neuen Funktionen werden auch in Zukunft zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. So ist davon auszugehen, dass die Pigmenthersteller vermehrt auf „grüne“ Pigmente setzen werden. Das können beispielsweise organische Pigmente auf der Basis nachwachsender Rohstoffe sein. Sie schonen Ressourcen, sind recycelbar und können möglicherweise lokal hergestellt werden. So entfallen lange Transportwege und der CO2-Abdruck bei der Herstellung der Rohstoffe für Farben und Lacke kann weiter verringert werden.