Die Nachfrage nach antiviralen Lack- und Beschichtungsrezepturen erlebt einen Boom – in Zeiten von Corona ist Hygiene ein wichtiges Gebot der Stunde, um die Ansteckungsgefahr einzudämmen. Nicht nur Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, auch öffentliche Verkehrsbetriebe, Messegesellschaften, Einkaufszentren, Hotels und Gaststätten suchen händeringend nach Lösungen, um zu verhindern, dass das Coronavirus und andere gefährliche Krankheitserreger auf Oberflächen haften bleiben und so auf andere Menschen übertragen werden.
Farben und Lacke, die eine antimikrobielle Wirkung versprechen, sind schon seit Jahren auf dem Markt erhältlich. In der aktuellen Situation treiben Hersteller die Entwicklung dieser Materialien jedoch noch intensiver voran. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Produkten, die Viren und Bakterien den Garaus machen – in verschiedenen Anwendungsbereichen und mit unterschiedlichen Wirkungsweisen.
Eine Methode, um Erreger zu bekämpfen, basiert auf dem Prinzip der Photodynamik. Der Lack enthält einen speziellen Photokatalysator, der durch natürliches oder künstliches Licht aus dem sichtbaren Spektralbereich angeregt wird. Es wird dazu keine UV-Strahlung benötigt. Dabei reagiert das aufgetragene Material mit den Sauerstoffmolekülen der direkten Umgebung. Der so aktivierte, gasförmige Sauerstoff beginnt unmittelbar damit, Bakterien, Viren und Pilze auf der Oberfläche zu zerstören.
Einen solchen Lack haben Forscher des Regensburger Klinikums zusammen mit einem Regensburger Unternehmen entwickelt und bereits in einer wissenschaftlichen Studie in mehreren Krankenhäusern unter realen Bedingungen getestet. Dazu Studienleiter Professor Wolfgang Bäumler vom Klinikum Regensburg: „Ausgangspunkt für die Entwicklung dieser speziellen Beschichtung auf Basis der Photodynamik war ursprünglich, den zahlreichen Keimen in Krankenhäusern und andern Gesundheitseinrichtungen Herr zu werden. Unsere über neun Monate dauernde Studie hat belegt, dass sich die Keimbelastung damit auf den beschichteten Oberflächen signifikant reduzieren lässt. Mittlerweile ist das photodynamische Wirkungsprinzip zur Bekämpfung von Keimen und Viren publiziert und damit auch international wissenschaftlich anerkannt.“
Die Wissenschaftler aus Regensburg setzen ihre Studien derzeit weiter fort. Nach jetzigem Stand steht fest, dass der Speziallack auch gegen behüllte Viren, wie zum Beispiel gegen Influenza- oder Coronaviren, wirkt. Der auf Licht reagierende Lack wird heute nicht nur in Gesundheitseinrichtungen, sondern auch in den Arbeits- und Produktionsräumen vieler Unternehmen eingesetzt. Auch in öffentlichen Verkehrsmitteln, wie dem Regensburger Verkehrsverbund, ist die Technologie bereits im Einsatz.'
Bereits in der Antike wusste man um die bakterienhemmende Eigenschaft von Nanosilber: Die Römer lagerten ihre Getränke vorzugsweise in Silbergefäßen, um sie länger haltbar zu machen. Heute stehen Nanosilberpartikel als antibakterielles Additiv für Beschichtungen erneut im Fokus, wobei diese Partikel in die Lack- und Druckfarbenrezeptur eingebunden werden. Durch Feuchtigkeit lassen sich die positiv geladenen Silberionen freisetzen – so werden an der Oberfläche Bakterien und Viren deutlich verringert. Wie lange die antibakterielle Wirkung der Beschichtung hält, ist abhängig von der Konzentration der Silberionen.
Lacke mit Nanosilberpartikeln verwendet man zum Beispiel für Verpackungen in der Pharma- und Lebensmittelindustrie. Darüber hinaus wird der Wirkstoff auch zum antiviralen Schutz in medizinischen Masken eingesetzt. Aber auch für Spielkarten, Zeitschriften und andere Druckerzeugnisse eignen sich die Beschichtungen. Mehrere Druckfarbenhersteller nutzen dieses Prinzip bereits für die Rezepturen ihrer Produkte.
Einen neuen Weg, um medizinische Oberflächen dauerhaft keimfrei zu halten, gehen Wissenschaftler der Universität Freiburg: Sie entwickelten eine Beschichtung aus Polymeren, die antimikrobiell und proteinabweisend zugleich ist. Bei direktem Kontakt mit der Oberfläche sterben Bakterien – gleichzeitig verhindert die Schicht, dass sich Proteine an der Oberfläche anlagern. Denn diese Anlagerungen würden die Bildung eines sogenannten Biofilms fördern, der wiederum gefährliche Infektionen auslösen kann.
Ähnlich wie bei dem Schmerzmittel Aspirin war die durchschlagende Wirkung der Beschichtung eine Zufallsentdeckung, da in ersten Tests die Polymere nur als beiläufige Kontrollsubstanz eingesetzt wurden. Die Forscher stellten während der Erprobung schnell fest, dass die Polymere allein in der Lage sind, Bakterien zu töten und Proteine abzuweisen. Derzeit wird das neuartige Beschichtungsmaterial in einem vom Bundesministerium für Forschung und Bildung geförderten Projekt in der Praxis getestet. Es soll später im medizinisch-technischen Bereich angewendet werden, zum Beispiel bei Wundauflagen und Kathetern.
Ab Oktober 2021 sind zwar Warnhinweise für flüssige und feste Gemische mit mehr als einem Prozent Titandioxid in der Europäischen Union verpflichtend – unstrittig ist aber, dass der in Lacken, Farben und Beschichtungen festverbundene Stoff nicht gesundheitsschädlich ist.
Eine auf Titandioxid basierende Technologie, um Oberflächen von Keimen zu befreien, bietet das Kölner Start-up-Unternehmen „UVIS“ seit dem Jahreswechsel an: Eine auf Wasser basierende Suspension mit Titandioxid rückt Pilzen, Bakterien und Viren zu Leibe. Die hydrophile Eigenschaft der speziellen Beschichtung verhindert zunächst, dass Keime wieder von der Oberfläche an die Raumluft abgegeben werden. Das Titandioxid greift schließlich ihre Außenmembran an, sodass die Keime absterben. Die Wirksamkeit gegen Corona-Viren wurde bereits von einem unabhängigen Prüfinstitut bestätigt. Ein Jahr lang ist die abriebfeste Beschichtung wirksam – danach muss sie erneut aufgetragen werden.
„Die aktuelle Situation trägt wesentlich dazu bei, dass die Bedeutung von umfassenden Hygienekonzepten und -maßnahmen steigt. Viele Unternehmen erkennen, wie wichtig es ist, Kunden und Mitarbeiter vor gefährlichen Krankheitserregern zu schützen“, so Tanja Zirnstein, eine der beiden Gründerinnen und Geschäftsführerinnen von UVIS. Auch in den kommenden Monaten rechnet die Unternehmerin mit regem Interesse an ihrem Produkt, das zum Beispiel in Einkaufszentren, Büros und Bussen der Deutschen Bahn eingesetzt wird.
Auch Farben und Lacke mit antimikrobieller Wirkung, müssen, wie jede Beschichtungsrezeptur, in Deutschland ausgiebig in darauf spezialisierten Laboren getestet werden, bevor sie auf dem Markt zugelassen werden können. Diese Tests dienen auch dazu, die Rezepturen hinsichtlich ihrer Wirkung zu optimieren. Dabei gibt es für nahezu jede Wirkweise eine entsprechende Norm oder Richtlinie, nach der getestet wird. Diese Verfahren sind in zahlreichen DIN- und ISO-Normen oder Vorgaben der ASTM, der American Society for Testing and Materials, geregelt. Selbst das Robert-Koch-Institut hat bereits 1995 eine eigene Richtlinie zur Überprüfung der bakteriziden, viruziden und fungiziden Wirksamkeit von Instrumenten- und Flächendesinfektionsmitteln herausgegeben. Ein weiterer Prüfaspekt, der für beschichtete Oberflächen im Zuge der Corona-Krise immer wichtiger wird, besteht in der Widerstandsfähigkeit von Lacken und Farben gegen Desinfektionsmittel. Denn die zusätzlichen Reinigungs- und Desinfektionszyklen stellen für verschiedene Beschichtungen auf Kontaktflächen, die beispielsweise im öffentlichen Raum eingesetzt werden, eine Herausforderung dar. Auch für diesen Fall gibt es entsprechende Prüfverfahren, in denen festgestellt wird, ob sie für diesen Zweck geeignet und entsprechend haltbar sind.
Neben den verschiedenen antimikrobiellen Additiven für Farben und Lacke gibt es zudem noch weitere Verfahren, wie die Plasma-Beschichtung, das SolGel-Verfahren oder der Einsatz von UV-C-Licht, die helfen können, Oberflächen frei von Keimen, Bakterien oder Viren zu halten. Welche Verfahren sich am Ende als die wirkungsvollsten und praktikabelsten gegenüber dem Corona-Virus erweisen, wird sich erst in Zukunft zeigen. Fest steht: Derzeit gibt es bei antimikrobiellen Lackzusätzen nur wenig gesicherte Erkenntnisse über ihre konkrete Wirkung gegen das Coronavirus. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Effekte nur in wenigen hochspezialisierten Laboren getestet werden können. Doch Lackrezepturen gegen Keime und Viren haben mit Sicherheit Potenzial: Wissenschaft und Industrie werden künftig ihre Forschungen auf diesem Gebiet weiter vorantreiben, um die Hygiene in vielen Lebensbereichen zu verbessern. Denn Virologen und Gesundheitsexperten wissen: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie.